Nachdem meine VanVan im veradammten Coronajahr fast die ganze Zeit daheim stand, war ich letzte Woche endlich mal wieder spontan in den Alpen:
1. Tag
Von München aus bin ich Wesentlichen der Ammer gefolgt und über den Ammersattel und am Plansee entlang gefahren. Nachdem die VanVan mit 77 dB Standgeräusch weit unter den in Tirol erlaubten 95 dB liegt, konnte ich im Außerfern unbesorgt durchs Namloser Tal und übers Hahntennjoch fahren. Anschließend vom Ötztal die wunderbare "Abkürzung" ins obere Inntal über die Pillerhöhe, von der sich ein herrlicher Tiefblick ins Inntal bietet:
Über den Reschen ging es dann in den Vinschgau. Eigentlich wollte ich zu der oberhalb von Reschen liegenden Panzersperre Plamort, aber die dorthin führende Straße ist nach zwei Dritteln mit einer Schranke und einem Verweis aufs Landesgesetz gesperrt. Um keine dreistellige Strafe oder gar eine Beschlagnahme zu riskieren, musste ich wieder umdrehen. Immerhin bot sich ein schöner Ausblick auf den Reschensee:
Zum Trost bin ich dann von Laas über ein immer schmaler werdendes Sträßchen, das schließlich zum Forstweg mutierte, ans obere Ende der Laaser Marmorbahn gefahren. Mit diesem Unikum wurden bis vor Kurzem mit Marmor beladene Schmalspur-Güterwagen per Schrägaufzug fast 500 Höhenmeter den Berg hinuntertransportiert:
Als Tageshöhepunkt ging es dann die Ostrampe des Stilfser Jochs mit ihren 48 Kehren hinauf, wo ich als erste Tagesetappe ein Hotel bezog. An einem Arbeitstag hielt sich der Verkehr in angenehmen Grenzen.
Ums Gepäck erleichtert bin ich dann noch, als Tagesabschluss und neuen persönlichen VanVan-Höhenrekord, bis zum alten Ortlerhaus um 3.000 Meter Höhe gefahren. Höher als der Zugspitzgipfel! Die Straße dorthin beginnt auf der lombardischen Seite der Passhöhe, wo ich das Verbotsschild nicht sonderlich ernst nehmen musste. Grob geschottert und mit teilweise mehr als 30% Steigung, wo die VanVan aufgrund der dünnen Luft sogar im ersten Gang kaum noch anzog, geht es durch völlig vegetationsfreie Landschaft, bis man auf das Stilfser Joch überragende Dreisprachenspitze (Südtirol/Lombardei/Engadin) von oben herabschauen kann! Erst als der Weg die Grenze zurück nach Südtirol überquert, verhindert das bereits bekannte Landesgesetz-Schild, noch höher weiterzufahren.
Nachts, fast allein im Hotel auf dem Joch, nachdem alle Tagesausflügler fort sind, kommt man sich fast wie in "Shining" vor. Und aufgrund der dünnen Luft schlafe ich auch nicht sonderlich gut.
2. Tag
Anderntags geht es auf der lombardischen Seite hinunter nach Bormio. Ich sehe massenhaft Murmeltiere, aber immer wenn ich zum Fotografieren anhalte, pfeift eines, und weg sind sie. Dafür bewacht eine Kuh ein Stück alter Straßenführung:
Und weiter über den Passo di Gavia. Speziell die kehrenreiche Südrampe ist mit ihrer nur einspurigen Straßenführung, der fehlenden Randsicherung und Steilheit fast schon die Grenze dessen, was ich mit meiner ausgeprägten Höhenangst zu fahren im Stande bi. Wundervoll ist es trotzdem! Gleich mehrfach durfte ich an diesem Vormittag sämtliche Vegetationszonen durchfahren.
Im Valcamonica geht es dann auf der Bundesstraße (natürlich die alte; die neue Tunnel-Strecke macht weder Spaß, noch dürfte man sie mit der 125er offiziell fahren) entspannt von Ponte di Legno über Edolo bis Breno, wo ich in den Passo Crocedomini einsteige. Nun geht es wieder nach oben.
An der Passhöhe, wo die meisten Motorradfahrer nur zum Foto anhalten, zweigt nach Süden die ursprünglich militärische Tre-Valli-Höhenstraße ab, die sich als Absolutes Highlight der ganzen Reise entpuppen sollte:
Auf meist über 2.000 Metern Höhe geht es 35 km weit über fünf Pässe, fernab jeder Zivilisation und extrem ausgesetzt auf größtenteils unbefestigter Straße bis zum Idro-See. Ein echtes Schmankerl für die VanVan. Aber wenn man dort in ein Gewitter käme, hätte man ein Problem. Trotz aufziehender dunkler Wolken wage ich es. Der erste Teil, der in Kammlage bis zum Giogo del Maniva führt, ist sogar als offizielle Strada Provinciale beschildert, kaum zu glauben. Das zum Teil grobe Geläuf und tief ausgewaschene Entwässerungs-Querrinnen erlauben nur ein Vorankommen im zweiten Gang.
Am Dosso dei Galli werden zwei gigantische militärische Funkantennen passiert:
Als wäre das alles nicht schon verrückt genug, geht es jenseits des Giogo del Maniva (über das auch eine "normalere" Passstraße führt) weiter nach Anfo am Lago d'Idro:
Außer ein paar Wanderern ist hier niemand unterwegs. Und die Straße ist so schmal, dass man glaubt, dass außer der VanVan hier eh nicht mehr viel hindurchpasst:
An einer Stelle hat eine Lawine die Straße geschluckt, aber es führt ein Trampelpfad drumherum:
Überall liegen Brocken von Steinschlag und Rutschungen herum.
Auch die kurzen Tunnel sind wohl für ihre Steinschlaggefahr berüchtigt.
Stellenweise bietet sich ein beeindruckender Tiefblick, und die Randsicherung ist eigentlich nicht als solche zu bezeichnen:
Schließlich geht es in endlosen Serpentinen die fast 2.000 Höhenmeter wieder hinunter zum Idro-See:
Anschließend fahre ich noch die Westrampe zum Tremalzo-Pass hinauf (die eigentlich lohnende Ostrampe hinunter zum Gardasee ist ja schon seit vielen Jahren für motorisierten Verkehr strikt gesperrt), aber im Vergleich zum zuvor Erlebten kommt die mir fast wie eine Autobahn vor... Schließlich ist der Gardasee erreicht.
In Limone sul Garda beziehe ich Quartier. Eigentlich wollte ich als Tagesabschluss noch die unglaubliche Forra-Schlucht nach Tremosine hinauffahren, aber die ist im unteren Teil wegen Tunnelarbeiten gerade gesperrt. Nach der Tre-Valli-Höhenstraße kann das meine Laune aber auch nicht mehr trüben. Und man kommt schließlich auch obenherum von Limone nach Tremosine, wo sich in Pieve herrliche Ausblicke auf den fast senkrecht darunter liegenden Gardasee bieten. Und zumindest den oberen Teil der Forra-Schlucht, bis fast zum "Sauschwänzel", kann ich dann doch noch befahren.
3. Tag
Am nächsten Morgen fahre ich von Limone über Riva hinauf nach Tenno, wo sich ein letzter Blick zu See bietet, und wo das mittelalterliche Dorf Canale besichtigt werden kann, das ebenso wie Pieve tags zuvor zu den schönsten Dörfern Italiens (borghi più belli d'italia) gehört.
Durch die herrliche Hügellandschaft der Judikarien geht es dann zum Molvenosee, in dem sich die Brentagruppe spiegelt:
Danach fahre ich hinunter ins Nonstal und über den Mendelpass nach Bozen. Durchs Sarntal und über das Penser Joch, ein letztes Mal über 2.000 Meter, geht es hinüber nach Sterzing. Hinter dem Brenner darf ich, weil Wochentag ist, die Ellbögener Straße am östlichen Hang des Wipptals bis Hall fahren. Über den Achenpass, Lenggries und Bad Tölz geht es zurück nach München.
Fazit: 1.100 km, 22.000 Höhenmeter und eine der schönsten und kurvenreichsten Touren bisher. Und so gut wie nie hatte ich den Gasgriff dauerhaft am Anschlag und das Gefühl, untermotorisiert unterwegs zu sein. Ich will zum Reisen kein anderes Motorrad mehr!
Moritz